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Werbung - Warum Agenturen nicht auf Ältere verzichten können

Der "Alte" macht die Arbeit souveräner und glaubwürdiger. Digital ist nur ein Kanal. Agenturgründer Manfred Türk plädiert leidenschaftlich für Altersdiversität in Agenturen.

Absagen auf Absagen. Wer im Alter 50+ bei Agenturen auf Jobsuche geht, hat ein hartes Leben. Nur wenige wollen sich auf einen älteren Bewerber einlassen, der zwar Überblick mitbringt, aber kein Digital Native ist. W&V Online hat in loser Folge mehrere Erfahrungsberichte von älteren Jobsuchenden veröffentlicht, die alle das gleiche Bild zeichnen: Man findet nur schwer eine neue Anstellung und oft liegt bei den Agenturen die Altersgrenze schon weit unter 50 Jahren. Das betrifft auch die Arbeit von Freelancern.

Dabei bringen Ältere vieles mit, was die Jungen heute vermissen lassen, findet Manfred Türk, Gründer der Agentur Neue Werbung aus dem Sauerland. Mit zwei jungen Nachfolgern leitet er gemeinsam seine Agentur, die er 1992 gegründet hat.

Seine fünf Thesen, warum gelebte Altersdiversität für Agenturen das bessere Konzept ist:

1. Die Alten können was
In den online-fixierten Kreisen hat sich ein Konsens verbreitet, dass die traditionelle Werbung ausgedient habe. Man bräuchte jetzt die Jungen, die Digital Natives, denn nur die könnten mit den neuen Medien richtig umgehen. Nun hat es solche Sterbegesänge auf traditionelle Marketinginstrumente schon häufiger gegeben. Und noch nie haben sie sich bewahrheitet.

Das Mantra von der "richtigen Botschaft zur richtigen Zeit an die richtigen Leute" ist im Übrigen auch nichts Neues. Man findet es schon in Claude Hopkins’ "Scientific Advertising" von 1923. David Golding, Chefstratege bei Adam & Eve/DDB, stellt lediglich fest, dass sich die Branche in einen kulturellen und in einen datengetriebenen Zweig aufgeteilt hat. Mit anderen Worten: Ein weiterer Verbreitungskanal ist hinzugekommen, der Media-Mix wurde vergrößert.

Und ja, es gibt neue Techniken der Segmentierung. Das können junge Leute richtig gut, keine Frage. Aber es ist keine Werbung. Es ist ein Werkzeug, um Werbung zu verbreiten. Die eigentlichen Aufgaben sind die gleichen wie seit eh und je.

Rund 40 Prozent eines Budgets gehen in digitale Maßnahmen. Manchmal mehr, manchmal weniger. Der Rest verteilt sich je nach Strategie auf andere Kanäle: TV, Direct Mail, Anzeigen, PR, Messeauftritte, Verkaufsliteratur und mehr. Das alles können die Alten oft noch sehr gut, manchmal besser als die Jungen. Also warum darauf verzichten?


2. Die Alten bringen Geld in die Kassen
Werbung ist im besten Fall Teil der Kultur. Die ältere Generation der Werbeleute hat dazu beigetragen, ihr diesen Stellenwert zu verschaffen. Werbung war mal richtig cool. Vom Beginn der 70er Jahre an wurden großartige Kampagnen entwickelt, Claims geschrieben, die in den Sprachgebrauch eingegangen sind, Geschichten voller Emotionen, Farben, Klänge und kreativer Durchschlagskraft erzählt. Scharenweise gingen die Leute ins Kino, um sich die Cannes-Rolle anzuschauen. Und sie haben sogar Einritt dafür bezahlt. Goldene Zeiten waren das. Leider scheinen die Kunden heute zu glauben, dass das vorbei ist. Denn sie schätzen das Marketing und die Arbeit von Agenturen immer weniger. "Unfug" schreibt beispielsweise der "Spiegel" über die „Marketingsprüche” der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die sich "Werbeagenturen in ihren Meetings erdacht haben".

Ganz anders war das bei den Alten mit ihrer "herkömmlichen", handwerklich oft schwierigen Arbeit. Langes Überlegen, Strategiediskussionen, Tests und immer wieder Verbesserungen bis die Positionierung steht, die Headline sitzt und der Schlüssel zum Erfolg gefunden ist. Ja, Marketing ist anstrengend. Aber wenn man einen Treffer landet, klingeln die Kassen. Ich kenne Unternehmen, die ihre Umsätze mit der richtigen Kommunikation in kurzer Zeit vervielfacht haben. Also warum nicht dieses Wissen nutzen und die erfahrenen Alten ihren Beitrag zur Werbearbeit leisten lassen?

3. Die Alten haben bessere Filter
Wir alle sehen die Welt durch Filter. Filter, die sich bilden durch unsere Gesellschaft, Kultur, Erziehung und das praktische Leben. Diese ganz persönlichen Filter lassen uns unsere Umgebung zur ganz persönlichen Realität werden. So kommt es, dass man im Laufe eines Berufslebens eine ganze Filtersammlung aufbaut. Dabei könnte man annehmen, je mehr Filter man hat, desto weniger kommt hindurch. Daher bräuchte die ältere Generation auch Sehhilfen und Hörgeräte. Tatsächlich ist es aber so, dass ab einem gewissen Reifeprozess die Erfahrung zeigt, welche Filter in einem bestimmten Fall einzusetzen sind. Und es kommt noch besser. Denn in der eigenen Reflexion wird sehr schnell klar, ob man sich gerade auf einem Holzweg befindet. Das erlaubt einen Wechsel der Perspektive und führt häufiger auch zu einem besseren Verständnis des Gegenübers und letztlich zu guten Ergebnissen.

Im Laufe der Zeit stabilisiert sich der Einsatz dieser Filter. Von neuen Billigteilen lässt man sich nicht so schnell aus der Bahn werfen. Wie heißt es schön bei David Ogilvy: "Does old age disqualify me from writing about advertising in today’s world? Or could it be that perspective helps a man to separate the eternal verities of advertising from its passing fads?"

4. Die Alten haben Ideen
Noch mal David Ogilvy: "Werbung muss auf einer starken Idee aufbauen." Diese Idee kommt aber nicht von irgendwoher, sondern ist das Ergebnis aus einem "Berg von Daten, Riesenmengen an Informationen und monatelanger Forschung" (Claude Hopkins). Solche Ideen entstehen vorzugsweise in "schöpferischen Gemeinschaften" wie eben Werbeagenturen, Zeitschriften, Architekturbüros oder Restaurantküchen. Und ja, auch in Nachtarbeit. Sie sind der Motor von Kampagnen, deren Ausdrücke überall dort sichtbar werden, wo sich Zielgruppen aufhalten. Auch das war schon immer so.

Richtig, die digitale Sphäre ist heute als Verbreitungsmedium hinzugekommen. So wie früher mal das Röhrenradio oder das Fernsehen. Dabei ist Contentmarketing PR, Youtube TV und Displaywerbung so eine Art Print geblieben. Das Denken in Kampagnen hat sich dabei keineswegs erledigt. Und man findet es oft bei älteren Werbeleuten. Sie verkörpern zudem noch die Tugend, eine Marke bewundernswert erscheinen zu lassen indem sie sich weigern, dem Konsumenten nach dem Mund zu reden.

Datenabhängigkeit und Googlisierung haben dazu geführt, dass die Werbung ihr Publikum zu verlieren droht. Keywordfetischismus und Content-Marketing der trivialen Art wertet die Qualität der Kommunikation ab. Die "kreative Kampagnenkultur" der Vergangenheit, geprägt von starken Ideen, sollte Werbeagenturen wieder als Ansatz dienen, um ihre Daseinsberechtigung zu untermauern. Ein paar ältere Mitarbeiter im Team sind da ein guter Anfang.

5. Die Alten machen souverän
Es ist richtig, dass zwischen Jungen und Alten im handwerklichen Können kein großer Unterschied besteht. Jeder beherrscht sein Metier auf seine eigene Weise mehr oder weniger gut. Was die Alten den Jungen voraus haben ist, dass sie mehr wissen. Sie haben Erfahrungen gesammelt, Misserfolge erlebt, Erkenntnisse daraus gezogen, den Mund abgewischt und weiter gemacht. Rückschläge werfen sie nicht mehr aus der Bahn. Probleme kommen und gehen auch wieder. Diese Haltung bringt Stabilität und Ruhe in den Alltag einer Agentur. In großen wie in kleinen Agenturen ist der oder die "Alte" somit ein Faktor, der die gesamte Kommunikationsarbeit ernsthafter, souveräner und damit glaubwürdiger erscheinen lässt.

Fazit
Die Wertschätzung von Alter, Wissen und Weisheit als Teil der Werbearbeit hat in dem gleichen Maße abgenommen wie die Wertschätzung der Auftraggeber gegenüber der Arbeit von Werbeagenturen generell. Ich betrachte das als Folge einer missverstandenen Digitalisierung und, wenn man die Skandale um Facebook & Co. betrachtet, bedenkenlos eingesetzter Werkzeuge im digitalen Umfeld. Und ich kreide es Agenturen selber an, wenn sie dem Jugendwahn verfallen und damit den schleichenden Prozess ihres eigenen Untergangs herbeiführen.

Sicher ist es nicht einfach, im Buzzword-dominierten Umfeld der Werbung an den Grundlagen des Marketings festzuhalten. Aber es dürfte sich lohnen, denn die Werkzeuge und Verbreitungskanäle ändern sich zwar, aber die grundlegenden Prozesse bleiben gleich. Ich bin daher sicher, dass in einigen Jahren niemand mehr den Begriff Digital Natives benutzt, so wie heute keiner mehr über fraktale Marken oder andere kurzfristigen Modeerscheinungen redet. Ebensowenig werden "Inbound Marketing", "Social Media Marketing", "Facebook Marketing" oder andere Promotionskanäle noch ein großartiges Thema sein. Kunden erwarten Kompetenzen, die sie selber nicht haben. In Facebook posten kann jeder, aber nicht jeder wird sich ernsthaft als Texter, Grafiker oder Berater bezeichnen.

Lassen wir die Alten aus diesem Metier zum Zuge kommen. Die Werbearbeit wird darunter nicht leiden, sondern ihren eigentlichen Status als Verkaufsmotor zurückgewinnen.

 © Foto Pixabay - Falkenpost